Mit Graham Coull durch die Dingle Distillery

Dingle Distillery Pot Stills Irish Whiskey Blog

(For an English version please go to A tour of the Dingle Distillery with Graham Coull)

Im April 2022 saß ich mit Graham Coull zusammen in einem kleinen, verglasten Raum in der Dingle Distillery. Graham ist dort Distillery Manager, Master Distiller und Master Blender. Es war ein sonniger Vor-Frühlingsnachmittag auf der Dingle-Halbinsel. Nach Nieselregen und tiefhängenden Wolken am Vormittag, war dieser Wetterumschwung nicht abzusehen. „So ist das hier in Dingle“, sagt Graham. „Das Wetter ändert sich ständig.“ Trotz neun Grad Außentemperatur trug Graham eine kurze Hose. Dazu die grell neongelbe Sicherheitsjacke der Mitarbeiter auf dem kleinen Gelände der Brennerei.

Die Dingle Distillery befindet sich in Dingle Town auf der gleichnamigen Halbinsel. Diese gehört zu den drei Peninsulas der Grafschaft Kerry im Südwesten von Irland. Insbesondere ihr südlicher Nachbar, die Iveragh Halbinsel ist berühmt. Sie ist Heimat des Ring of Kerry. Allerdings hat auch die Dingle Halbinsel für Besucher viel zu bieten. Von früh-christlichen Klostersiedlungen über spät-steinzeitliche Steinformationen zu modernen Freizeiteinrichtungen. Und über allem steht eine wilde Landschaft aus grünen Hügeln, schroffen Gebirgsformen und winzigen Dörfern. Dingle Town ist die größte Siedlung der Halbinsel und die Dingle Distillery liegt an ihrem westlichen Ende. Dahinter kommen noch zwei Dörfer und anschließend endet dieser westliche Teil Europas mit dem Atlantik.

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Besuch der Brennerei in Dingle im April 2022

Dingle Whiskey und Graham Coull: Wie alles begann

Im Glasraum der Brennerei erzählt Graham Coull von den Anfängen der Dingle Distillery. Als eine der ersten, unabhängigen Mikrobrennereien gegründet, entstand diese in 2012. Somit war sie Vorreiter für viele, die in den Jahren drauf ihrem Beispiel folgen sollten. Im Dezember 2015 schließlich füllten die drei Gründer Oliver Hughes, Liam LaHart und Peter Mosley das Cask No. 1 ab. Der erste Dingle-Whiskey war geboren. Jedoch ging dieser nicht in den Verkauf. Vielmehr bleibt das Fass als Erinnerungsstück verwahrt. Stattdessen ging Cask No. 2 an den Start, ein dreifach destillierter Single Malt, gereift für drei Jahre in einem Ex-Bourbonfass. Der Whiskey in der markanten, bauchigen Flasche und hölzerner Präsentationsbox ist heute ein beliebtes Sammlerstück, welches bei Auktionen vierstellige Hammerpreise erzielt.

Während in 2015 am Rande Irlands dieses Stück Zeitgeschichte geschrieben wurde, arbeitete der Schotte Graham Coull im achten Jahr bei Glen Moray als Distillery Manager, Master Distiller und Master Blender. Davor war er elf Jahre Distillation Manager für William Grant & Son bei Glenfiddich. Seine Zeit bei Dingle begann im Oktober 2019. „Ich war damals schon lange bei Glen Moray beschäftigt und stark an der positiven Entwicklung des Unternehmens beteiligt. Und ich hätte dort einfach für den Rest meines Berufslebens weitermachen können“, blickt Graham zurück.

Wie kam Graham Coull zur Dingle Distillery? „Die Whiskey-Industrie boomt und regelmäßig fragten Firmen an, ob man sich vorstellen könne, für sie zu arbeiten. Ich habe das immer abgelehnt.“ Doch als er mit Dingle über den vakanten Posten des Master Distillers in Kontakt kam, änderte sich seine Haltung. „Dingle bot viel Entwicklungspotential. Ich sah, was die Gründer hier bereits geleistet hatten und die Möglichkeit, ein noch junges Projekt erwachsen zu machen.“

Der Start einer unabhängigen Brennerei am Westrand Europas

Was Graham Coull mit der Dingle Distillery vorfand, war eine Brennerei, die ihre Gründer mit einfachen Mitteln aus dem Boden gestampft hatten. Dazu hatten sie in 2011 die Halle eines alten, leerstehenden Sägewerks gekauft und drei kupferne Brennblasen von Forsyths installiert. Zudem existiert eine weitere Brennblase, liebevoll Oisín genannt, für die Produktion von Vodka und Gin, den beiden weiteren Produkten aus Dingle. Mittlerweile ergänzt eine fünfte Anlage das Set. Auf ihr wird der Gin gebrannt, während auf Oisín die Vodka-Produktion läuft. Ein unüblicher Hingucker ist die hölzerne Mash Tun, in der Dingle die Maische bereitet. Daneben warten fünf Washbacks auf das fertige Zwischenprodukt. Das Warehouse befindet sich nur wenige Autominuten von der Brennerei entfernt. Dort lagern, Stand April 2022, rund 5.000 Fässer. Zudem sind sämtliche Arbeitsprozesse, vom Bottling über Labeling bis zum Verpacken dort zuhause.

Im Warehouse befinden sich auch die 500 Fässer der Founding Fathers. Das Projekt diente zur Finanzierung der Dingle Distillery. Hierbei standen diese ersten, selbstproduzierten Fässer exklusiv zum Verkauf. Die Käufer, die Founding Fathers, konnten nach erfolgter Reifung des Spirits zu Whiskey entscheiden, die Fässer weiter ruhen zu lassen, diese für sich abzufüllen oder an die Brennerei zurück zu verkaufen. Durch die Einnahmen aus dem Projekt gelang es dem Gründer-Team ihr Start-up unabhängig von Banken zu finanzieren.

Für Ihre Whiskeys fand die Dingle Distillery schnell eine Fangemeinde. In regelmäßigen Small Batches erschienen über die ersten sieben Jahre sechs Single Malts und fünf Single Pot Stills mit je verschiedenen Fass-Finishes. Im Herbst 2021 endete die Reihe Malts mit dem letzten Batch. Gleichzeitig erschien ein Single Malt als Core Release. Das letzte Batch Single Pot Still kam im Frühjahr 2022 auf den Markt. Hierzu wird ebenfalls ein Core Release dieser Kategorie folgen. Derzeit beträgt das Produktionsverhältnis von Malt Whiskey zu Pot Still Whiskey 70 zu 30.

Dingle Distillery Wooden Mash Tun
Die hölzerne Mash Tun (links) ist eine Besonderheit der Brennerei.

Whiskey in kleinen Dosen

Das Konzept der Small Batches hängt mit der relativ geringen Produktionskapazität zusammen. Die maximale Kapazität der Brennerei beträgt 170.000 Liter puren Alkohols. „Wir liegen bei nahezu maximaler Auslastung“, erklärt Graham. Hier beginnt Grahams eigentliche Aufgabe. „Eine Brennerei ist im Alltag ein Selbstläufer. Fütter die Anlagen mit Wasser, Getreide und Hefe und sie läuft und läuft und läuft.“ Deshalb legte Graham einen Schwerpunkt seinen Arbeit auf das Geschehen abseits der Produktionsprozesse und brachte seine Vorstellungen aus über 25 Jahren Branchenerfahrung ein. Gemeinsam mit dem Inhaber-Team erarbeitete er ein Entwicklungskonzept. Zentrales Ziel dieses Konzepts ist die Einführung von zwei Core Range-Produktlinien. Diese sollen aus Single Malts und Single Pot Stills in verschiedenen Altersstufen bestehen. Mit dem bereits veröffentlichten Single Malt ist hierbei der erste Schritt erfolgt.

Um diese weiteren Schritte zu gehen, benötigt die Dingle Distillery größere Kapazitäten. Die Planungen für eine Erweiterung sind abgeschlossen, die Baumaßnahmen seitens der Behörden genehmigt. Im Sommer 2022 sollen die Arbeiten beginnen. Dazu wird die bisherige Metallbau-Halle abgerissen. Lediglich denkmalgeschütztes Mauerwerk bleibt erhalten. Durch den Umbau vergrößert sich die Produktionsfläche und es entstehen mehr Möglichkeiten für Besucherführungen. „Wir erwarten eine Bauzeit von acht Monaten,“ so Graham.

Dingle Distillery Pot Stills
Die drei Pot Stills für die Dreifach-Destillation

Positive Aussichten

Während dieser Zeit wandert die Gin- und Vodka-Produktion in das nahegelegene Warehouse. Die Whiskey-Destillation stoppt solange vollständig. Dazu Graham Coull: „Dafür werden wir anschließend eine Produktionskapazität von 470.000 Litern pro Jahr haben, also mehr als doppelt so viel wie jetzt.“ Damit soll die entstehende Bestandslücke durch den temporären Produktionsausfall binnen eines Jahres geschlossen werden. Die Ausweitung der Produktion erfolgt ohne Vergrößerung der Brennblasen. Einzig durch das Mehr an räumlichen Möglichkeiten, mehr Gärbottiche und eine höhere Arbeitseffizienz durch verschiedene Automatisierungen ist die signifikante Produktionssteigerung zu erreichen. Dennoch berücksichtigt die Bauplanung bereits ausreichend Platz für größere Stills, so diese benötigt werden.

Die Marktprognosen, selbst nach zwei Jahren Pandemiegeschehen, sind positiv. Die Irish Whiskey Association rechnet weiterhin mit starken Wachstumszahlen der Branche. Graham findet die Entwicklungen auf dem Irish Whiskey-Markt spannend. „Es ist schwer zu sagen, wie sich die einzelnen Destillerien entwickeln werden. Einige der Neuen werden es nicht schaffen. Andere werden von Konzernen geschluckt werden, wie es in Schottland die Regel ist.“

Dingle Distillery Warehouse
Fässer im Warehouse von Dingle

Unabhängigkeit ist das große Plus der Dingle Distillery

Wie wichtig es für ihn ist, dass Dingle eine kleine, unabhängige Brennerei ist und bleibt? „Die vorherigen Brennereien, für die ich gearbeitet habe, gehörten alle einem Mutterkonzern, hatten aber dennoch die flachen Strukturen von Familienbetrieben. Hier in Dingle ist das alles nochmal konzentrierter.“ Dies gibt ihm größtmöglichen Einfluss auf viele Entscheidungsprozesse. Vor allem was das Produktportfolio betrifft. Für die Umsetzung der beiden Core Range-Produktlinien ist ein Zeitraum von zehn Jahren geplant. Während dieser Zeit wird sich wenig am Charakter der Destillerie verändern. „Viele Anbieter machen außergewöhnliche Produkte, experimentieren viel. Und das ist eine gute Sache. Dingle wird das aber nicht tun,“ erklärt Graham.

Zwar kündigte Graham im Herbst 2021 während eines Tastings ein künftiges Release von peated Dingle Whiskey an. Doch bleibt es da bei kleinen Chargen und Ausnahmen. „Ich bin selbst kein allzu großer Fan von peated Whiskey. Ich mag lieber gute Port-Finishes.“ Dagegen hat der Pot Still Whiskey, Irlands Alleinstellungsmerkmal, in Graham Coull einen neuen Freund gefunden: „Ich denke, Pot Still Whiskey ist für Irland etwas Einmaliges. Er ist sehr unterschiedlich zu Malt Whiskey. Als Distiller begrüße ich zudem die Möglichkeiten, die sich hoffentlich bald mit einer Änderung des aktuellen Technical File ergeben. Vor allem mit mehr Hafer und Roggen arbeiten zu dürfen, ist sehr spannend.“

Ich danke Graham Coull für die Zeit und die Führung durch die Dingle Distillery.

Tralee, Mai 2022