Interview mit Dingles Peter Mosley: Wie alles begann und wohin es führt

Dingle Distillery Founding Fathers

Wer entlang die kurvigen Straßen der Halbinsel den Weg nach Dingle zurücklegt, sieht während seiner Fahrt draußen eine der schönsten Landschaften Irlands vorbeiziehen. Auf endlose Strände, die sich in der Ferne weit ins Meer erstrecken, folgen Bergpässe von denen die Aussicht gewaltig ist. Dazu formiert der allgegenwärtige Wind konstant das Wechselspiel von Sonne, Wolken und Regen neu und unterwirft die Landschaft einer permanenten Veränderung. Gleichzeitig ist dieser Teil der Welt nur spärlich besiedelt. Winzige Dörfer finden sich entlang der engen Straßen. Eines darunter, der Ort Anascaul, erlangte bescheidene Berühmtheit als Heimatort des Arktisforschers Tom Crean. Ansonsten ist Dingle Town mit seinem Hafen, Geschäften und Pubs einziger Anziehungspunkt auf der Halbinsel. Und seit 2012 Heimat der Dingle Distillery.

Anfang April 2022 fuhr ich durch diese Landschaft um am westlichen Ende der Halbinsel die Dingle Distillery zu besuchen. Ich war mit Peter Mosley verabredet, einem der Gründer der Brennerei. Er und seine beiden Partner Oliver Hughes und Liam La Hart hatten 2012 die Brennerei gebaut und eröffnet. Damit hatten sie als erste Indie-Brennerei Irlands den damals von Großkonzernen beherrschten Markt für Irish Whiskey betreten. Ein mutiger Schritt. Jedoch war das Gründerteam um Peter nicht ungeübt in der Materie.

Dingle Peninsula
Die Dingle-Halbinsel am westlichsten Rand von Europa

Unabhängiges Brauen und Destillieren

Bereits 1996 starteten sie die Porterhouse Brewery, eine der ersten unabhängigen Brauereien Irlands. Zwischen den dominierenden Marktgrößen Guinness und Heineken begannen sie mit ihrer kleinen Brauerei im Haifischbecken gegen den Strom zu schwimmen. Überraschend erfolgreich. Es folgten eigene Pubs im Temple Bar-Bezirk von Dublin und in Covent Garden in London. Ein Jahrzehnt später warfen sie ihr Augenmerk auf die Produktion von Whiskey. Und wiederholten mit der braunen Spirituose, womit sie mit Bier Erfolg hatten: Ein unabhängig und in kleinem Maßstab produziertes Produkt von guter Qualität sollte gegen die Massenware der etablierten Größen Irish Distillers, Bushmills und Cooley bestehen.

Auf meiner vierzig-minütigen Fahrt von Tralee nach Dingle tauchte immer wieder die eine Frage in meinem Kopf auf: Wieso entstand die Brennerei derart fernab vom Schuss? Ausgerechnet am Ende von endlosen Straßen, über die sich mit Gütern beladene Lkws quälen müssen und wo nur wenige potentielle Mitarbeiter leben? Zumal sämtliche Ressourcen der Gründer sich in bei ihrer Brauerei in Dublin, also auf der anderen Seite der Insel befanden. Und war es unabhängig von potentiellen Startschwierigkeiten nachhaltig geplant, ein wachsendes Kleinunternehmen in einer sich verändernden Marktlandschaft dort zu begründen?

Peter begrüßte mich gut gelaunt am Eingang der Brennerei. Ein großer, kräftiger Mann mit freundlichem Gesicht und aufmerksamen Blick. Kein schierer Geschäftsmann, sondern jemand, der selbst anpackt. Bis heute ist er der Braumeister der Porterhouse Brewery und liebt das Brauen mehr als alles andere. Wir betreten die schlichte Metallbauhalle am Ortsrand von Dingle, welche die Brennerei beheimatet. Schon draußen weht der typische Geruch einer Destillerie aus dem Tor. Im Inneren empfängt mich die Geräuschkulisse und die wohlige Wärme der Produktionsprozesse. Auf engem Raum sind Mash Tun, fünf Washbacks und die drei kupfernen Pot Stills von Forsyths arrangiert. Dazwischen, beinahe gequetscht, stehen zwei weitere Stills für die Gin- und Vodkaproduktion.

Dingle Distillery
Blick in den Produktionsbereich

Warum Dingle?

Peter führt mich in die obere Etage, wo in einem kleinen Glasraum eine Sitzgelegenheit auf uns wartet. Ein leerer Tresen befindet sich am Ende des kleinen Raumes. Es ist warm, wärmer noch als unten zwischen den Washbacks. Durch die geschlossene Glastür hört man gedämpft die Geräuschkulisse aus der Brennerei. „Eigentlich bin ich die meiste Zeit in Dublin. Deshalb weiß ich nicht, wie hier die Kaffeemaschine funktioniert,“ eröffnet er entschuldigend lächelnd. Wir starten unser Gespräch ohne Kaffee und beginnen mit den Fragen, die mich auf der Fahrt hierher beschäftigten. Wie alles begann und warum am Westrand von Irland.

„Die Idee, eine Brennerei zu eröffnen geisterte von Anfang an herum, seit 1996, als wir die Brauerei starteten. Jedoch war diese zunächst wichtiger,“ blickt er zurück. „Dublin hätte als Brennerei-Standort natürlich mehr Sinn ergeben,“ räumt er zudem ein. Vor allem wirtschaftlich, da Ressourcen mit der Brauerei hätten geteilt werden können. „Und wir hatten auch eine alte Brennerei in Blanchardstown im Blick. Allerdings ist das nicht unbedingt die beste Gegend in Dublin, um Besucher zu erreichen.“

Darum Dingle!

Zwischen den drei Gründern herrscht schnell der Konsens, dass Besucher für das Geschäftsmodell wichtig seien. Und dass der typische Destillerie-Tourist eine bestimmte Erwartung an eine Besichtigung mitbringe. Diese sei vor allem durch schottische Brennereien geprägt, deren populärsten Besucherzentren sich in abgelegenen Regionen befänden. Bei der letztlichen Entscheidung für Dingle macht er seinen zwischenzeitlich verstorbenen Partner Oliver Hughes als die treibende Kraft aus. „Oliver verbrachte regelmäßig Urlaube mit seiner Frau auf der Dingle-Halbinsel. Ihm gefiel es hier und er wollte der Region etwas zurückgeben,“ blickt Peter zurück. Dazu weiter: „Zudem ist Kerry eine starke Tourismusregion. Allerdings besuchen die meisten Gäste Killarney und den Ring of Kerry und reisen dann weiter. Nur Wenige nehmen die eineinhalb Stunden Fahrt von dort bis nach Dingle in Kauf. Jene, die es tun, erwarten dann auch etwas vor Ort. Deshalb sollte die Brennerei eine weitere Sehenswürdigkeit werden.“

Nach einer kurzen Suche nach Standorten wurde es letztlich der Ortsrand von Dingle. Dabei behielten Peter, Liam und Oliver stets im Blick, wie ihr Abenteuer von den Ortsansässigen gesehen werden könnte. Hierbei zieht Peter zurückblickend ein positives Fazit: „Wir waren in der Lage, Touristen anzuziehen. Wichtiger noch für den Ort war es, dass wir ganzjährige Arbeitsplätze schufen.“ Insbesondere der letzte Aspekt, ist in Tourismusregionen wichtig. Denn Jobs in Gastronomie und Übernachtungsgewerbe bieten oftmals nur saisonale Beschäftigung. Dagegen läuft eine Destillerie zwölf Monate im Jahr. Außerdem verzichteten die Gründer von Beginn an auf den eigenen Verkauf von Alkohol. „Das wäre problemlos möglich gewesen und unsere Besucher fragten natürlich regelmäßig danach. Stattdessen schickten wir sie lieber in die lokalen Pubs und Geschäfte, um diese zu unterstützen.“

Dingle Distillery Pot Stills
Die drei Pot Stills für die Dreifach-Destillation

Der Mut zu Neuem

Ich frage Peter, wie das Marktumfeld war, in dem er und seine beiden Partner schließlich in Dingle loslegten. „Ob wir wussten, dass es ein guter Zeitpunkt war, eine Brennerei zu starten? Oliver würde jetzt sagen, er hätte es gewusst. Aber tatsächlich wussten wir es nicht,“ antwortet er schmunzelnd. Damals hätte es über die Jahre viele Gerüchte über Leute gegeben, die hier und dort eine Brennerei eröffnen wollten. Jedoch sei nie etwas passiert.

„Letztlich verfolgte uns die Idee seit über zehn Jahren. Ich selbst hatte den großen Wunsch, Whiskey herzustellen,“ wirft er den Blick zurück auf die späten 00er-Jahre. „Selbst bin ich kein großer Whiskey-Trinker. Ich mag Whiskey sehr gerne, trinke aber keine Mengen. Aber als Braumeister fasziniert mich besonders der Destillationsprozess und ich mochte die Herausforderung, etwas Neues zu lernen und einen Whiskey zu brennen, den ich selbst mag.“

Von Irish Gin zu Irish Whiskey

Ähnlich verhielt es sich mit Gin. „Wir wussten absolut nichts über Gin. Ich selbst trinke kaum Gin.“ Der Weg der Neugier war der Richtige und Gin sollte zum ersten Steckenpferd der neuen Dingle Distillery werden. „Unser Gin war zu Beginn eine wichtige Stütze für uns. Damals gab es in Irland kaum Gins und wir stießen überall auf offene Türen,“ berichtet Peter. Der Höhepunkt kam im Jahr 2019. In dem Jahr gewann der Dingle Gin bei den World Gin Awards in London unter 400 zur Auswahl stehenden Gins im Blind Tasting den Hauptpreis.

Doch Whiskey war nicht minder bedeutend für das Gelingen des Start-ups von Peter, Oliver und Liam. Vor allem auch finanziell. Ausschlaggebend für den gelungenen, wirtschaftlichen Anlauf war das Founding Fathers Cask Program der Dingle Distillery. Hierbei standen 500 der ersten Whiskey-Fässer aus der eigenen Produktion zum Verkauf an Jedermann. Es fanden sich Einzelpersonen, Unternehmen, Bars, aber auch Gruppen aus Familien und Freunden, die jeweils ein Fass Dingle Spirit für Preise von 5.000 bis 6.000 Euros erwarben. Verbunden mit den Optionen, dass Fass nach erfolgter, dreijähriger Reifung weiter ruhen zu lassen, es für eigene Zwecke abzufüllen oder an die Brennerei zurück zu verkaufen.

Gründerväter

Die Einnahmen aus dem Verkauf an die Founding Fathers diente der Start-Finanzierung der Brennerei. „Wir bauten die Brennerei zu Kosten von einer Millionen Euro. Durch die Unterstützung der Founding Fathers gelang es uns, dies ohne langfristige Fremdfinanzierung zu stemmen,“ berichtet Peter nicht ohne Stolz auf die Idee. „Heute kopieren viele neue Brennereien das Prinzip und bieten ihrerseits Cask Programs an,“ weiß er.

Allerdings hat sich ein anderes Prinzip zur Finanzierung auch durchgesetzt: „Es scheint, als treten die meisten Brennereien zunächst als Abfüller auf und vertreiben Marken mit zugekauftem Whiskey. Wir hatten dies auch zunächst bedacht. Jedoch hatte ich Bedenken,“ räumt Peter ein. Tatsächlich sind Marken wie Dunville’s von der Echlinville Distillery oder die Abfüllungen aus Clonakilty oder Connacht gut von der Kundschaft aufgenommen worden. Peter hatte jedoch Zweifel an der nötigen Transparenz: „Ich fürchtete, Leute könnten ein Produkt erwerben und erst später herausfinden, dass es gar nicht von der Brennerei selbst hergestellt wurde. Jedoch ist dies großflächig ausgeblieben.“

Dingle Distillery Founding Fathers
Die Fässer der Founding Fathers im Warehouse der Brennerei.

Die Ignoranz der Unabhängigkeit

So blieb es im Westen von Kerry bei der Finanzierung durch die Founding Fathers. Gleichzeitig minimierten die Gründer so das Risiko, in externe Abhängigkeit zu geraten. Denn nichtsdestotrotz gab es keine Sicherheit, dass sie einen erfolgreichen Marktstart hinlegen würden. „Wir versuchten, die Brennerei so günstig wie möglich zu bauen. Natürlich hatten wir beratende Unterstützung durch einen Experten. Was aber nicht hieß, dass wir immer auf ihn gehört haben.“ Peter lacht kurz auf. Der Experte war der renommierte Berater John McDougall aus Schottland. „Er hat uns sehr geholfen bei der Auswahl und Installation der Brennapparaturen.“

Viele Hinweise des Fachmanns ignorierten Peter und seine Partner dennoch bei der Abwägung zwischen Kosten und Nutzen. „Wir hätten damals ein paar Dinge anders machen können. Dinge, die später zu kleineren Problemen führten und dann eine neue Lösung erforderten. Wahrscheinlich hätte man besser direkt weitere 500.000 Euros investiert. Oder gar eine Million. Aber wir haben es eben damals so gemacht.“ Die Kosten im Blick zu behalten, war das A und O: „Für eine neue Brennerei sind die ersten fünf Jahre die entscheidende Zeit. Die gilt es zu überleben und anschließend ein gutes Produkt zu haben. Diese ersten Jahre müssen finanziert werden. Die geringen Kosten haben uns geholfen.“

Was ist “Craft”?

Die Praxis gibt Einblicke in die Liebe von Peter für seine Unabhängigkeit. „Ich mag es nicht, wenn Leute von „craft“ sprechen,“ sagt er. „Heutzutage ist alles „craft“, selbst die Produkte aus Großkonzernen. Wichtiger ist es, unabhängig zu sein.“ Durch die Unabhängigkeit brauchten Peter, Oliver und Liam nie irgendwen um Erlaubnis fragen und konnten die Entscheidungsgewalt innerhalb ihres kleinen Teams behalten. „Wir mussten auch nie Rücksicht auf die Interessen von Shareholdern nehmen.“

Ob es für immer bei der Unabhängigkeit bleibt? „Nun, wir haben mit der Porterhouse Brewery und der Dingle Distillery immer viel Aufhebens um unsere Unabhängigkeit gemacht. Da wäre es nur schwer erklärbar, würden wir uns an einen Konzern verkaufen,“ lacht Peter auf die Frage hin. „Aber Fakt ist natürlich: Niemand weiß, wie er bei einem bestimmten Angebot reagieren würde,“ gibt er süffisant zu. „In den USA gingen einige unabhängige Brauereien n Konzernen auf. Das hat zu sehr negativen Reaktionen geführt. Insgesamt wird es deshalb interessant, wie der irische Whiskey-Markt in zehn Jahren aussieht.“

Dingle Distillery Irish Whiskey Blog
Besuch der Brennerei in Dingle im April 2022

Vertrauen und Fortschritt

Einen Teil dieser Unabhängigkeit tauschte Peter 2019 gegen Vertrauen. Damals nahm mit Graham Coull ein erfahrener Master Distiller und erprobter Distillery Manager seine Arbeit in Dingle auf. Dazu kommentiert Peter: „Destillation ist keine Raketenwissenschaft. Dennoch traute ich mir nicht zu, beim Blenden der Batches immer die richtigen Entscheidungen zu treffen. Darin ist ein Profi wie Graham deutlich stärker.“

Gerade mit Blick auf die Zukunft, misst Peter diesem Umstand mehr Bedeutung zu. Nachdem Dingle Whiskey beinahe eine Dekade lang für Small Batch Releases stand, begann im Herbst 2021 mit der Veröffentlichung des Dingle Single Malt die Transformation hin zu einer Core Range. „Für Core Releases ist eine gleichbleibende Produktqualität essentiell. Das garantiert uns Graham mit seiner Erfahrung,“ erklärt Peter. Außerdem spricht er nochmal die räumliche Distanz von Dublin nach Dingle an. „Den Brennerei-Alltag von Dublin aus zu mit zu organisieren, war nicht immer einfach. Deshalb ist Graham der richtige Mann vor Ort und er hat alle Prozesse verbessert.“

Außerdem spielt Graham Coull eine entscheidende Rolle beim für 2022/23 geplanten Neubau der Destillerie. „Mit Graham wollen wir nun den nächsten Schritt machen und alle Dinge direkt auf die richtige Art und Weise angehen.

Ich danke Peter Mosley für seine Zeit und das wirklich unterhaltsame und interessante Gespräch.

Tralee, im Mai 2022